In Kemnath ist eine hoch technisierte BRK-Spezialeinheit für chemisch-biologisch-atomare Unglücksfälle stationiert
Kemnath. In einem voll besetzten Fußballstadion explodiert ein Sprengsatz, der chemische oder biologische Stoffe freisetzt. Hunderte Verletzte müssen versorgt werden. Ein Horrorszenario. Aber eines, das geschehen kann. Wäre es bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in der Allianz-Arena in München oder im Nürnberger Easy-Credit-Stadion Wirklichkeit geworden, hätten 18 Freiwillige der CBRNE-Truppe vom Kemnather BRK einen gleichermaßen lebensrettenden wie lebensgefährlichen Einsatz gehabt.
Wenn die CBRNE-Fachdienstgruppe alarmiert wird, ist größte Gefahr im Verzug. Verunglückte Gefahrguttransporter, Unfälle in chemischen Fabriken oder - im schlimmsten Fall - Anschläge mit chemischen, biologischen oder radioaktiven Waffen sind dann passiert oder stehen zu befürchten. In ganz Bayern gibt es nur zwölf dieser Spezialeinheiten - eine davon ist in Kemnath stationiert. CBRNE ist die Abkürzung für chemisch, biologisch, radioaktiv, nuklear und explosiv. Wird jemand mit einem dieser Stoffe kontaminiert (verschmutzt), kommen die Spezialisten aus Kemnath zum Einsatz - ob in Bamberg oder Bayreuth, in Hof oder Weiden. Die Rotkreuzler, deren Abteilung vor sechs Jahren unmittelbar vor der Weltmeisterschaft ins Leben gerufen wurde, sind nämlich für ganz Oberfranken und die nördliche Oberpfalz zuständig.
Was ist die genaue Aufgabe der Spezialeinheit? "Vereinfacht gesagt, waschen wir von liegend, also schwer Verletzten die Kontamination herunter", erklärt Christian Stahl. Der 32 Jahre alte Fachdienstleiter beim Bayerischen Roten Kreuz macht den Job seit elf Jahren. Und er ist heilfroh, dass er bei der WM nicht zum Einsatz kam. "Wir waren bei allen Spielen in München und Nürnberg dabei. Gottlob ist nichts passiert." Bislang musste die Spezialeinheit zu vier Ernstfällen ausrücken. Alles Unfälle. Drei auf, einer neben der Autobahn. Der bedrohlichste ereignete sich vor ziemlich genau zwei Jahren auf der A 93 zwischen Weiden und Luhe-Wildenau. Ein mit sieben gefährlichen Stoffen beladener Laster war von der Fahrbahn abgekommen und im Straßengraben gelandet. "Der Transporter hatte Gebinde mit Salpetersäure, Cyanamid, Eisessigsäure, Flusssäure und Chlorwasserstoff geladen. Wenn sich zwei dieser Säuren vermischt hätten, wäre ein etwa 50 Meter großes und zehn Meter tiefes Loch die Folge gewesen", erinnert sich der CBRNE-Leiter mit Gruseln an den Unfall. Glücklicherweise habe man bisher noch keinen tatsächlich kontaminierten Patienten versorgen müssen, übe den Ernstfall aber ständig. Die Ausbildung zur CBRNE-Fachkraft dauert ein Dreivierteljahr. In regelmäßigen Übungen verfeinern und verbessern die Spezialisten ihr praktisches und theoretisches Wissen. Und das ist umfassend, reicht von chemischen, biologischen und radioaktiven Kenntnissen über technisches Verständnis bis hin zu - natürlich - medizinischen Fertigkeiten. So wichtig die Aufgabe dieser Einheit ist, so wertvoll ist ihr Einsatzfahrzeug, eine VW Crafter-Spezialanfertigung. Man sieht es dem biederen Kastenwagen mit dem Kennzeichen "TIR-RK 581" nicht an, dass hier für gute 100 000 Euro Spezialausrüstung drinsteckt: Aggregate, Lichtmaschinen, Zelte, medizinische Geräte, Schutzanzüge, allerlei "Zeugs" für die Kampfmittelbeseitigung und, und, und. 180 000 Euro hat das Fahrzeug insgesamt gekostet, in der Serienausführung ist es für etwa ein Drittel zu haben. "Das komplett durch Spenden finanzierte Auto ist deutschlandweit einmalig", berichtet Stahl stolz. Mindestens genauso stolz ist der Einsatzleiter darauf, dass sich sein Team ausnahmslos aus Ehrenamtlichen zusammensetzt. "Unglaublich engagierte Leute, denen nur zu wünschen ist, dass sie nie zu einer wirklichen Katastrophe ausrücken müssen."
"Gott sei Dank sind wir bisher vom Ernstfall verschont geblieben." Christian Stahl, CBRNE-Leiter
INFO: Der Ausdruck CBRN ersetzt die frühere Formulierung ABC, in der das "A" für sogenannte "atomare Gefahren" stand. Die nun verfeinerte Unterteilung der "A"-Gefahren in radiologische (R) und nukleare (N) Bedrohungen beschreibt die unterschiedlichen Arten einer radioaktiven Kontamination. (uf)
Quelle: Nordbayerischer Kurier (Von Udo Fürst)