Pflegeteam erarbeitet Wege, um auf Fixierungsmaßnahmen bei Senioren verzichten zu können
Kemnath. (wew) Freiheitsentziehende Maßnahmen - es ist ein Begriff aus dem Alltag der Altenpflege. Es ist ein Begriff, der schnell dahingesagt ist. Was sich aber dahinter verbirgt, kann für pflegebedürftige Menschen schwerwiegende Konsequenzen haben. Im BRK-Seniorenheim "Haus Falkenstein" hat sich das Pflegeteam diesen Fragen gestellt.
Als vor mehr als zwei Jahren das Bayerische Sozialministerium die Aktion "Eure Sorge fesselt mich" ins Leben rief, beteiligte sich auch der BRK-Kreisverband Tirschenreuth in seinen drei stationären Einrichtungen an Überlegungen, die bisher bestehenden, amtsrichterlich angeordneten Fixierungsmaßnahmen genauer zu betrachten und zu reduzieren, im Idealfall entbehrlich zu machen. Hierzu waren umfangreiche Einzelbeobachtungen und viele Gespräche mit Angehörigen und Betreuern, aber auch mit Ärzten und der Heimaufsicht erforderlich. Schließlich galt es, jede individuelle Gefährdungssituation sowie die betreuerischen und technischen Möglichkeiten so aufeinander abzustimmen, dass künftig ohne freiheitseinschränkende Maßnahmen eine möglichst hohe Lebensqualität für die Heimbewohner erreicht werden konnte.
Hierzu wurden neben dem gezielten Einsatz von bis zum Boden absenkbaren Pflegebetten, Sensormatten vor den Betten und vor allem einem verstärkten Betreuungsrhythmus verschiedene Maßnahmen an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst. Pflegedienstleiterin Schwester Cilli Gerlang erläuterte den Weg, der nun dazu geführt hat, dass Mitte vergangener Woche der letzte noch bestehende amtsrichterliche Fixierungsbeschluss aufgehoben werden konnte.
Schrittweise reduziert
Von der Sensibilisierung aller Pflegemitarbeiter bis zu den Einzelgesprächen mit Angehörigen und Betreuern, von der Einbindung von Betreuungsstelle beim Landratsamt, der zuständigen Heimaufsicht und der Ärzte war eine schrittweise Reduzierung der Bettgitter, Bauchgurte und sonstiger Hinderungssystemen möglich geworden. Lediglich auf eigenen Wunsch von entscheidungsfähigen Bewohnern kann zum Beispiel ein
Bettgitter vor dem Herausfallen schützen.
Günther Filbinger, dessen Mutter im "Haus Falkenstein" mit einer speziellen Gehhilfe ausgestattet wurde, schilderte den erkennbaren Gewinn an Lebensfreude, Beweglichkeit und auch Appetit, der sich nach Beendigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen eingestellt hatte. Er sei von Anfang an in den Prozess eingebunden worden und freue sich sehr über die Initiative des Pflegepersonals.
BRK-Kreisgeschäftsführer Holger Schedl sprach dem gesamten Team unter Führung von Schwester Cilli seine große Anerkennung für die beispielhafte Umsetzung des Projektes aus. Mit der symbolischen Entsorgung eines Bauchgurtes läuteten die Führungskräfte der Wohnbereiche eine neue Ära der "Sorge für die Heimbewohner, die nicht fesselt" im BRKSeniorenheim Kemnath ein.
Individuell beurteilen
Da die jeweilige Gefährdungslage jedes Menschen vor allem zu Beginn eines Pflegeprozesses individuell beurteilt werden muss, können vom Vormundschaftsgericht zwar auch künftig freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet werden, das Pflegeteam werde aber in jedem Einzelfall bestrebt sein, diese durch die nun bewährten Betreuungsformen entbehrlich zu machen.
Quelle: Der neue Tag / oberpfalznetz.de