Katastrophe im Eisenbahntunnel
Bericht aus "Der Neue Tag, vom 22.09.2008"
Zug entgleist bei Neusorg - 600 Helfer müssen bei Großübung an ihre Grenzen gehen
Neusorg/Waldershof. Zum Glück war alles nur eine groß angelegte Katastrophenschutzübung. Aber auch so wurde deutlich, welche schrecklichen Folgen ein Zugunglück im 700 Meter langen Bahntunnel zwischen Neusorg und Waldershof haben könnte. In der Nacht zum Sonntag probten fast 600 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rotem Kreuz, Technischem Hilfswerk, Bergwacht, Polizei, Bundespolizei und Bundeswehr in einem sehr wirklichkeitsgetreuen Szenario und wurden hart gefordert.
Es ist Samstag, 23.45 Uhr, als der Regionalzug Nürnberg-Hof zwischen Neusorg und Waldershof im Bahntunnel entgleist. Der Lokführer kann noch einen Notruf per Bahnfunk absetzen. Kurz darauf geht die Meldung in der Feuerwehreinsatzzentrale in Weiden ein. Ab diesem Zeitpunkt besteht keine Verbindung mehr mit dem Lokführer. Der entgegenfahrende Regionalexpress kann noch rechtzeitig im Bahnhof Marktredwitz gestoppt werden.
Nichts zu sehen
Die Alarmierung der Feuerwehr und des Rettungsdienstes wird nach Sonderalarmplan "Bahn Höllbach km 115 - Kreuzweiher km 118" Alarmstufe 3 um 23.48 Uhr ausgelöst. Die Feuerwehren Pullenreuth und Neusorg können auf der Anfahrt zur möglichen Einsatzstelle an der Bahnbrücke bei Haidlfurt, wo die Bahnstrecke Neusorg-Waldershof über einige Kilometer einsehbar ist, nichts Ungewöhnliches entdecken.
Katastrophe im Eisenbahntunnel
Zug entgleist bei Neusorg - 600 Helfer müssen bei Großübung an ihre Grenzen gehen
Deshalb fahren sie weiter nach Leimgruben zur nächsten Einsichtsstelle; von dort ist normalerweise auch der Eingang des Bahntunnels zu sehen. Aber auch hier erschwert die Dunkelheit den Überblick. Allerdings bemerken die Helfer, dass Brandgeruch in der Luft liegt. Einige glauben, in größerer Entfernung leise Hilferufe zu hören.
Bis zur Bestätigung der Bahn durch die Notfall-Leitstelle München, dass die Strecke in beiden Richtungen gesperrt ist, rüstete sich ein Trupp der Feuerwehr Neusorg zum Erkunden des Tunnels aus. Aufgrund der zu erwartenden "besonderen Schadenslage" hat der schon vorher bestimmte örtliche Einsatzleiter, Kreisbrandinspektor Andreas Wührl, dem Ansprechpartner der Führungsgruppe Katastrophenschutz am Landratsamt Tirschenreuth empfohlen, diese einzuberufen und weitere Berichte abzuwarten.
Der erste Erkundungstrupp der Feuerwehr erschaudert, als er sich nach mehreren hundert Metern dem entgleisten Zug im Tunnel nähert: Manche Opfer schreien vor Schmerz, von anderen ist nur mehr stöhnendes Gewimmer zu hören. Auch laute Hilferufen schallen durch die absolute Finsternis. Schockierte und verzweifelte Passagiere des Regionalzugs schleppen sich den Einsatzkräften entgegen. Diese wiederum können sich mit schwerem Atemschutz und Lampen ausgerüstet nur mühsam bis direkt an die Unglückstelle vorarbeiteten.
Als die Helfer endlich etwas Licht ins finstere Gewölbe gebracht haben, bietet sich ihnen ein Bild des Schreckens: Zahlreiche Verletzte, die sich bereits aus eigener Kraft aus dem Zug befreit haben, liegen auf und neben den Gleisen. Andere liegen bewusstlos in den Abteilen, teilweise notdürftig durch andere Passagiere versorgt. Die meisten Fahrgäste stehen unter Schock und können die Lage um sie herum nicht einordnen. Dazwischen immer wieder Hilfeschreie. Und dann breitet sich beißender Rauch von der brennenden Zugmaschine im Tunnel aus und erschwerte die Arbeiten zusätzlich.
Den Einsatzkräften wird in diesem Szenario alles abverlangt. Das absolut unwegsame Gelände vor den beiden Tunneleingängen gleicht dem Vorhof zur Hölle. Links und rechts geht es mehrere hundert Meter steil bergab. Bäume und Sträucher verhindern ein schnelles An- und Abrücken. Über die Steilhänge müssen sich die Helfer erst mit aller Vorsicht einen Weg bahnen, über den sie das Material zur Einsatzstelle schaffen.
Noch extremer ist die Situation am Tunneleingang in Richtung Waldershof. Hier ist das Gelände so unzugänglich, dass erst das Technische Hilfswerk eine Seilbahn aufbauen muss, um das Einsatzgerät nach unten zu schaffen.
Über Steilhang nach oben
Inzwischen ist es schon fast 2 Uhr: Jetzt erst können Feuerwehr, Rotes Kreuz und Bergwacht damit beginnen, die insgesamt 32 Verletzten über den Tunnelausgang in Richtung Neusorg abzutransportieren. Die Bergwachtleute haben schwer zu kämpfen, um die zum Teil schwer Verletzten Opfer mit Tragen über den Steilhang nach oben zu schaffen.